Entscheidungen
Entscheiden, Scheideweg, Scheidung. Statt scheiden könnte man auch trennen oder gabeln sagen (was nicht aufspießen bedeutet). Jeder von uns muss täglich Entscheidungen treffen und die berühmte Tür schließen um eine Andere zu öffnen. Und selbst die Kleinen können große Veränderungen bewirken. Müsli oder Toast mit Leberwurst? Da kann sich die vermeidlich gute Entscheidung „Müsli“ als falsch herausstellen, weil die Milch fürs Müsli verdorben war und man den ganzen Tag die Schüssel umarmt. Steh ich heute auf? Das ist schon eine größere Entscheidung. Macht man Blau lässt man seine Kollegen hängen, setzt bei übertriebener Häufigkeit seine Arbeit aufs Spiel, hat aber einen wunderbar erholsamen Tag mit tollem Frühstück und ausschlafen. Steht man auf, hat man ein gutes Gefühl weil man Pflichtbewusst ist. Und wird überfahren, weil man ja gerade so stolz auf sich ist und den Mülllaster übersieht. Die Folgen müssen ja nicht immer so dramatisch sein.

Manche Menschen gehen Entscheidungen gerne aus dem Weg. Sie treffen dabei aber auch eine Entscheidung – und zwar eine schwerwiegende. Sie entmündigen sich freiwillig. Nun hat der Chef, der Freundeskreis oder wer auch immer, die volle Macht. Schwach nennt man diese Menschen. Oder „Mitläufer, „Jasager“ und was weiß ich. Klar lässt man sich gerne mal was abnehmen. Besonders wenn der richtige Weg nicht so klar erscheint. Das sei jedem vergönnt. Und ich mache das auch ganz gerne mal. Aber ich würde mich zum Beispiel nicht einer Subkultur in soweit anschließen das ich voll involviert wäre. Ich bin und bleibe trotz meines Verlangens nach Gesellschaft, Freundschaften und all dem ein Einzelgänger. Und ich werde das auch immer so beibehalten. Ob ich will oder nicht! Das liegt mir im Blut, das wurde mir in der Pubertät eingeprügelt. Die Gemeinschaft ist stark. Die Gemeinschaft macht dumm. Die Gemeinschaft ist böse und sie zerstört dich. Egal ob du drin bist oder nicht.

Kein Gothic wird sagen, dass er einen teil von sich aufgegeben hat. Nun, das hat er aber unter Umständen doch. Lässt man sich zu sehr auf sein Umfeld ein, entscheiden sie für dich was du trägst, was du hörst, was du denkst und sagst. Und das geile: Du bemerkst es nicht! Man denkt das müsste so. Man denkt tatsächlich das man seine eigene Entscheidung getroffen hat. Und das ist durchaus so beabsichtigt. Man bezeichnet sich ja selbst als Gangster oder Raver um auszudrücken wer man ist. Kann man das nicht auch so? Kann man nicht sagen „Ich bin Karl Müller, finde Gothicpartys cool, interessiere mich aber auch für Graffiti und fahre nen Hippiebulli?“ Das erfordert Mut.

Ich selbst bin in die Gruppendruckfalle schlechthin getappt. Rauchen. Mit 15 fanden das alle soooo coool. „Komm, rauche auch eine mit uns.“ Ich fand es eklig. Darum habe ich abgelehnt. Dann wurde ich weich, weil man ja „dazugehören“ wollte. War das wirklich ICH der die Entscheidung traf oder waren das die anderen? Schwer zu sagen. Ich würde sagen, dass ich eine Teilschuld habe, indem ich meine Überzeugung und den Ekel aufgegeben habe um dazuzugehören. Wäre ich stark geblieben ginge es mir heute viel besser.

Aber man muss sich teilweise anpassen. Und man wird von seinem Umfeld immer geprägt. Irgendwoher lernt man ja die Musik kennen die einem gefällt, und irgend eine Frau hat einem mal so den Kopf verdreht, dass man nur noch an Blondinen denken kann. Oder mein Beispiel mit der Unfähigkeit zu einer Gruppe dazuzugehören. Das kommt auch nicht – plop - einfach so, auch wenn es zum Teil in den Genen liegt.

Und das man komplett unangepasst ist, wäre schädlich. Anpassen bedeutet auch Rücksicht nehmen. Rücksicht auf seine Mitmenschen, auf die die man liebt oder auf die, welche einen das Dasein ermöglichen. In meiner alten Kita musste ich zum Teil meinen Kleidungsstil anpassen weil die Eltern mich zu schräg fanden und misstrauisch wurden. Privat trug ich weiterhin meine „normale“ Kleidung, auf der Arbeit dezentere. Eine Anpassung, ein Kompromiss. Und so geht es weiter. In der Beziehung, in Freundschaften, der ganzen Interaktion mit dem Umfeld. Die Kunst, oder der Fluch, ist sich selber nicht aus den Augen zu verlieren. Sonst stellt man irgendwann fest, dass man sich selbst fremd ist und denkt man hätte sein Leben vertan. Diese Erkenntnis ermöglicht einem aber eine weitere schwerwiegende Entscheidung: Will ich es ändern? Wenn es schlecht läuft merkt man es nicht oder zu spät und hat sein Leben vertan...

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Das unterschreib ich dir so.


Dumm wenn man bei der Arbeit nicht mal ein Shirt mit nem roten Stern tragen darf ohne gleich als renitenter Revoluzzer da zu stehen.

Individualität ist ein Segen und ein Fluch zugleich.

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Bleibt die Frage, ob es nun der rote Stern oder die Nadel in der Nase ist, die ich benötige, um mir selbst treu zu bleiben.

Eigene Überzeugung hat etwas mit innerer Haltung zu tun. Dafür benötige ich keine äußeren Zeichen. Ein roter Stern oder eine Nadel in der Nase ändert keine Verhältnisse. In einer Diskussion über Ausländer als einziger Kollege dagegen zu halten und eine andere Meinung als die der BLÖD-Zeitung zu vertreten, bewirkt sicherlich mehr. Und das kann man auch in Anzug und Krawatte. Ist sogar mitunter wirksamer.

Rücksichtnahme und Anpassung sind für mich Gegensätze. Rücksicht nehme ich aus innerer Überzeugung, aus der heraus ich meine Verhalten und damit meine Haltung ändere.

Anpassung schulde ich einer opportunistischen Grundhaltung, die mir meine Einnahmen sichert, ist aber rein rational bedingt. Rücksicht ist eher eine Gefühlssache. Unter dieser Prämisse wäre Anpassung in einer Beziehung die Grundlage des Scheiterns.

Haltung ist leider, im Gegensatz zum Englischen (Attitude), in der deutschen Sprache viel zu unterrepräsentiert.

Individualität ist für mich weder Segen noch Fluch sondern einfach Teil eines selbstbestimmten Lebens. Kurzer Exkurs zu Kant: Der Mensch lebt in seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Will heißen, nicht andere sind an meiner Situation Schuld sondern ich allein. Unbequem, aber eine Chance. Will nur leider fast niemand hören.

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